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Wie Ergo-CIO Krause die IT modernisiert

Ergo-CIO Mario Krause schafft den Spagat zwischen Legacy-Modernisierung und digitalen Transformationsprojekten.

Mario Krause, CIO von Ergo Deutschland: "Wir möchten alle Vertriebskanäle gleich behandeln und für den Kunden transparent nutzbar machen."
Mario Krause, CIO von Ergo Deutschland: “Wir möchten alle Vertriebskanäle gleich behandeln und für den Kunden transparent nutzbar machen.”
Foto: Ergo Deutschland

“Ich sehe mich nicht als obersten Technologiehüter”, sagt Mario Krause, CIO von Ergo Deutschland und Geschäftsführer des konzerneigenen IT-Dienstleisters Itergo. “Meine Aufgabe ist es, Business-Anforderungen von Ergo Deutschland und IT-architektonische Notwendigkeiten auszubalancieren.” Dieses Rollenverständnis hilft dem Diplom-Ingenieur in den großen Transformationsprojekten, die der Versicherer verfolgt.

Im Rahmen des “Ergo-Strategieprogramms” arbeitet das Unternehmen an mehreren digitalen Initiativen gleichzeitig. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat der zur Munich Re gehörende Versicherungskonzern rund 400 Millionen Euro in Digitalisierung investiert. Dabei geht es vor allem um Innovations-, Migrations- und Vertriebsprojekte. Die Hälfte der Investitionssumme floss in die IT.

Zu den wichtigsten Vorhaben gehörte der “hybride Kunde”. Ergo hat damit in Deutschland die unterschiedlichen Vertriebskanäle integriert und eine einheitliche Sicht auf die diversen Produkte geschaffen. “Wir möchten alle Vertriebskanäle gleich behandeln und für den Kunden transparent nutzbar machen”, erläutert Krause das Konzept. Kunden sollen Versicherungsprodukte über sämtliche Kanäle immer zu den gleichen Konditionen bekommen können, unabhängig davon, ob sie sich auf der Website bedienen oder etwa Verträge mit Versicherungsagenten oder Maklern schließen.

Vertriebskanäle integrieren

Viele Versicherer trennen derzeit das klassische vom Online-Geschäft, um im digitalen Vertrieb mehr Gas zu geben und so die Vertriebskosten zu senken. So entstand beispielsweise der Online-Versicherer HUK24 der HUK-Coburg. Krause: “Beim Online-Vermarkter gibt es dann aber oft andere Produkte als im klassischen Geschäft. Genau das wollen wir nicht.” Die Frontend-Systeme der Ergo seien mittlerweile so gestaltet, dass Kunden und Vermittler gleichermaßen eine einheitliche Sicht auf alle Produkte hätten. Daraus ergäben sich Möglichkeiten, die Kundenbeziehungen zu erweitern, also Cross-Selling- und Upselling-Potenziale, die mit unterschiedlichen Vertriebsstrategien in den Kanälen kaum zu erschließen wären.

Krause nennt als Beispiel eine Zahnversicherung, die man Neukunden zu attraktiven Konditionen anbieten könne. Ist der Kunde durch solch ein Einstiegsprodukt gewonnen, könne man ihn danach auch auf weitere margenstarke Produkte aufmerksam machen. Krause: “Unsere Conversion-Rate für solche Maßnahmen liegt deutlich über dem Branchendurchschnitt.”

Die Unternehmens- und IT-Fakten der Ergo Group.
Die Unternehmens- und IT-Fakten der Ergo Group.
Foto: cio.de

Aus IT-Sicht birgt der “hybride Kunde” einige Herausforderungen. Um schnell zu sein und attraktive Benutzeroberflächen für die Anwender zu bauen, packte die Ergo im ersten Schritt viel Business-Logik in die Frontend-Systeme. Doch das hat auch Nachteile. Wenn Versicherungstarife etwa im Frontend “hart” verdrahtet sind, ist der Anpassungsaufwand bei Tarifänderungen hoch. Krause will deshalb in einem zweiten Schritt die Vertriebskanäle nicht nur aus Kundensicht, sondern auch im Backend zusammenführen. Dazu arbeitet die IT an einer Integrationsschicht, eine Art Multichannel Layer in Form einer Middleware, die die Produkte mit den unterschiedlichen Vertriebskanälen verknüpft.

IT-Modernisierung im Backend

Ein anderes Kernprojekt in Sachen IT-Modernisierung für Deutschland dreht sich um die Systeme für Lebensversicherungen. Die Ergo nimmt dabei eine Trennung in Altverträge und neue Produkte vor. Das klassische Geschäft mit Lebensversicherungen stammt noch aus der Hochzinsphase mit entsprechend attraktiven Konditionen für Kunden, erklärt Krause die Hintergründe. Angesichts der mittlerweile wesentlich niedrigeren Zinsen schließt die Ergo, wie viele andere Ver­sicherer auch, keine Neuverträge mehr für die be­stehenden Produkte ab. Stattdessen stellt sie ein komplett neues Lebensversicherungsgeschäft mit anderen Produkten und Tarifen auf die Beine.

Das Mainframe-basierte Kernsystem für bestehende Lebensversicherungen wird zusammen mit dem Partner IBM auf “msg.Life Factory” migriert. Dabei handelt es sich um eine Standardsoftware für die Bestandsführung von Lebensversicherern, die auf einer serviceorientierten Architektur und JEE-Technologie basiert (JEE = Java Enterprise Edition). Für die Ergo-IT bedeutet das: Es geht nur noch um die Abwicklung der Altverträge. Bei solchen “Run-off-Systemen” sei es entscheidend, die Betriebskosten mit einer schlanken Lösung niedrig zu halten, erläutert Krause. Das neue Geschäft mit Lebensversicherungen führt künftig eine eigene Gesellschaft. IT-seitig nutzt die Ergo dafür eine eigene Instanz von msg.Life Factory.

Die Modernisierung der Altsysteme ist auch für einen Konzern wie die Ergo Group ein dicker Brocken. Immerhin werden dort zirka vier Millionen Versicherungsverträge verwaltet. Laut Krause geht es um Millionen Lines of Code in verschiedenen Programmiersprachen. Die Ergo habe es also keineswegs nur mit klassischen Cobol-Anwendungen zu tun, für die es spezialisierte Dienstleister im Markt gibt. Hinzu kommt, dass die Komplexität in den Backend-Systemen durch diverse Fusionen, unter anderem der Hamburg-Mannheimer und der Karstadt-Quelle-Versicherungen, zugenommen hat.

Mit dem abgetrennten System für das “neue” Lebensversicherungsgeschäft geht die Ergo auch in der IT andere Wege. Das in der Standardsoftware abgebildete System soll viel enger mit anderen Ergo-Geschäftsbereichen und -Strukturen integriert sein. Das betrifft beispielsweise die Anbindung an unterschiedliche Maklersysteme, die für den Markterfolg entscheidend sind.

Digitalprojekte in der Pipeline

Auf der To-do-Liste stehen noch weitere Großprojekte. Mit der “Zukunftsarchitektur Vertrieb” (ZAV) entsteht ein einheitliches und automatisiertes Vergütungssystem. Es soll eine effektivere Vertriebssteuerung und eine schnellere Reaktion auf Marktveränderungen ermöglichen. Darüber hinaus will die Ergo sämtliche Prozesse im Versicherungsumfeld und der Schadensabwicklung Ende-zu-Ende digitalisieren.

IT-Governance

Krause hat in der komplexen Konzernstruktur gleich mehrere Hüte auf und sieht sich damit gut positioniert, Business- und IT-Anforderungen in Einklang zu bringen. Als CIO Germany sitzt er im Vorstand der deutschen Gesellschaft. Zugleich ist er Vorsitzender der Geschäftsführung des internen IT-Dienstleisters Itergo. Dieser wiederum gehört zur internationalen Holdinggesellschaft Ergo Technology & Services Management (ET&SM). Krause sitzt auch hier im Vorstand und kann die deutschen Interessen einfließen lassen: “Ergo Deutschland steht für einen Großteil des Ergo-Versicherungsgeschäfts”, betont er. “Insofern hat die Versicherungs-IT für Deutschland einen sehr hohen Stellenwert.”

Innovationen und Digital Ventures

Innovationen entstehen im Ergo-Konzern grundsätzlich auf drei Wegen: entweder in den einzelnen Sparten, wenn es etwa um neue Versicherungsprodukte geht, in den Technologieeinheiten oder in der Gesellschaft Ergo Digital Ventures. Sie agiert als “technologische Innovationsschmiede”, sagt Krause, und solle neue Technologien wie Robotics und künstliche Intelligenz (KI) ins Unternehmen tragen. Ihre Aufgabe sei es auch, einen gewissen “Innovationsdruck” aufzubauen. Ein Beispiel ist der KI-Einsatz in der Leistungsabrechnung für Krankenversicherer. Dabei geht es etwa darum, Verdachtsfälle für nicht korrekte Abrechnungen aus dem Datenbestand herauszufiltern. “Ein Algorithmus kann so etwas deutlich besser als ein Mensch”, so Krause.

Unter dem Dach von Digital Ventures entstand auch das Konzept für den digitalen Versicherer Nexible. Das Unternehmen positioniert sich als “Insurtech”, das an der digitalen Zukunft der Versicherung arbeite. Nexible ist mittlerweile mit verschiedenen digitalen Versicherungsprodukten am Markt und agiert als Tochter von Digital Ventures.

New Work und Corona-Effekt

Zur digitalen Transformation der Ergo gehören auch agile Methoden und ein New-Work-Konzept mit neuen Kollaborationsmodellen, die für die verschiedenen Einheiten der Ergo Technology & Services Management entwickelt werden. Die Covid-19-Pandemie habe diese Entwicklung deutlich beschleunigt, berichtet Krause: “Vor Corona war Home-Office eher die Ausnahme.” Nach dem Ausbruch des Virus habe man “brutal schnell umgeschwenkt” und fast alle Mitarbeiter nach Hause geschickt. Zum Zeitpunkt des Interviews mit Krause Ende April 2021 durften Mitarbeiter nur in dringenden Fällen ins Büro kommen.

Auch nach der Pandemie wolle man Führungskräfte “motivieren”, den Mitarbeitern mobiles Arbeiten anzubieten, so der CIO. Dennoch sieht er auch die Schattenseiten der Arbeit im heimischen Büro: “Der permanente Fokus am Bildschirm macht Mitarbeiter müde, wir fühlen alle mehr Stress.” Ein noch konsequenterer Home-Office-Kurs würde aus seiner Sicht zu viele Nachteile bringen: “Es gibt häufiger Kommunikationsprobleme, und es ist schwieriger, zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen, wenn Gestik und Mimik der Kollegen nicht erkennbar sind.” Am Ende komme es auf die richtige Mischung aus physischer und virtueller Präsenz an.

Agile Transformation

In der IT-Organisation setzt der CIO sukzessive auf agile Methoden, die auch in der Ergo Technology & Services Management Holding international eingeführt werden. Davon betroffen ist auch das Mainframe-Umfeld, in dem noch nach dem klassischen Wasserfallmodell gearbeitet wird. Diese Entwicklung brauche aber Zeit, so Krause: “Wir sind nicht Spotify und können nicht auf der grünen Wiese anfangen, agile Teams aufzustellen.” Die Ergo-IT entwickle die eigenen Standards auf Basis des agilen Frameworks entlang der Bedarfssituationen permanent weiter.

Mit agilen Methoden funktioniere vieles anders als in traditionellen Strukturen, erläutert der CIO. Das betreffe etwa die Budgetierung von IT-Vorhaben, für die es gerade in einem Versicherungskonzern etliche Regularien und Vorgaben gebe. Dennoch sei der Weg der agilen Transformation für die Ergo unabdingbar. Krause: “Am Ende geht es um Schnelligkeit und Flexibilität. Ohne agile Methoden könnten wir niemals die notwendige Geschwindigkeit aufnehmen.”

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